Der Geschichte-Zusatzkurs der Jahrgangsstufe Q2 beschäftigt sich aktuell mit dem 2. Weltkrieg und insbesondere mit dem Schicksal ausländischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Gerade in unserer Region befanden sich gegen Kriegsende zahlreiche Menschen aus der Sowjetunion, Polen und anderen Ländern, die ins Deutsche Reich verschleppt worden waren, um die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen zu halten. Was lag also näher, als sich mit der regionalen Geschichte zu befassen?
Zwischen dem 20. und 23. März 1945 – kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs – verübten Angehörige von Waffen-SS und Wehrmacht im Arnsberger Wald eines der größten Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges in Deutschland: Sie ermordeten bei mehreren Erschießungen 208 Männer, Frauen und auch Kinder, die als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich verschleppt worden waren. Lange Zeit waren diese Kriegsverbrechen mitten in Westfalen verdrängt und vergessen. Seit 2015 erforscht der Historiker Dr. Marcus Weidner vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte die Morde – und hat mit seinen Forschungen dazu beigetragen, die Verbrechen wieder in Erinnerung zu bringen.
Dr. Weidner erklärte sich sofort bereit, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern des Kurses von Geschichtslehrer Christian Neuhaus die Orte der Verbrechen zu besuchen. So erhielt die Lerngruppe die einmalige Möglichkeit, gemeinsam mit dem Historiker an den Tatorten die Hintergründe der Verbrechen kennenzulernen. Ihre Exkursion führte sie zu insgesamt fünf Stationen:
Der erste Stopp fand an der Grundschule in Suttrop statt. Hier hatte im Frühjahr 1945 der Stab der SS-Division z.V. (= „zur Vergeltung“) sein Hauptquartier. SS-Obergruppenführer Hans Kammler persönlich war es, der die Befehle zur massenhaften Erschießung von Zwangsarbeitern gab. Marcus Weidner schilderte die Situation in der Region nach dem Überschreiten des Rheins durch die Alliierten: Hunderttausende Zwangsarbeiter zogen durch Westfalen Richtung Osten, die Städte und Gemeinden wollten sie so schnell wie möglich loswerden. Kammler befahl, die Zwangsarbeiter zu „dezimieren“ und verfolgte damit die Naziideologie eines Vernichtungskriegs trotz der unmittelbar bevorstehenden Niederlage unbeirrt weiter.
Anschließend begab sich die Gruppe an die drei Mordorte: An abgelegenen Stellen im Arnsberger Wald bei Eversberg, Warstein und Suttrop ermordeten Angehörige von Wehrmacht und Waffen-SS 208 Menschen, darunter auch zwei Kinder. Die Ausgrabungen der LWL Archäologie förderte zahlreiche Spuren dieser Verbrechen zu Tage. Mit Hilfe von Bildern dieser Fundstücke sowie mit Zitaten der Tatbeteiligten aus Gerichtsakten schuf Dr. Weidner ein plastisches Bild der Abläufe der Morde. Zugleich vermittelte er den Schülerinnen und Schüler interessante Einblicke in die Arbeit der Historiker und Archäologen.
Nach der Entdeckung der Massaker in Warstein und in Suttrop befahlen die Alliierten, dass ehemalige NSDAP-Mitglieder die Leichen bergen sollten und die gesamte Bevölkerung der Ortschaften an den Toten vorbeiziehen sollte. Danach wurden die Leichen nahe der Erschießungsstellen bestattet. Die Grabstätten wurden jedoch nicht gepflegt, verfielen oder wurden mutwillig zerstört. Die Mordopfer der Massaker in Suttrop und Warstein wurden 1964 auf den Waldfriedhof „Fulmecke“ in Meschede umgebettet.
Der Besuch dieses Friedhofs bildete den Abschluss der Spurensuche. Die Schülerinnen und Schüler hatten zuvor in Eversberg die Kriegsgräberstätte für deutsche Soldaten besucht und mussten nun einen riesigen Kontrast feststellen: Während die deutschen Soldaten individuelle Grabsteine mit Namen, Geburts- und Todesdatum erhielten, wurden in Fulmecke die Toten entgegen gesetzlichen Regelungen anonym beigesetzt. Die Inschriften auf den teilweise beschädigten Grabplatten lauten: „Hier ruhen sowjetische Bürger, die in der schweren Zeit 1945 fern der Heimat starben.“ Mit dem Wissen, was den dort begrabenen Menschen wirklich zugefügt wurde, zeigten sich die Schülerinnen und Schüler schockiert über das bewusste Verleugnen der Verantwortung durch die deutschen Verantwortlichen, das bis in die 1990er Jahre reicht: „Der Friedhof hat uns alle sehr geschockt: Die Ermordeten wurden quasi ein zweites Mal getötet. Jeder Hinweis darauf, warum sie hier waren, wie sie starben und auch, wie man mit ihren Gräbern umgegangen ist, fehlt.“
Dieser schockierende Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem Erinnern an die ermordeten Menschen beschäftigt die Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht weiter. Erster Schritt: „Wir haben einen Text für die Grabsteine formuliert. Auch wenn wir die einzelnen Menschen nicht mehr identifizieren können, soll doch klar werden, dass hier Menschen als Opfer einer menschenverachtenden Ideologie von Deutschen hier direkt vor unserer Haustür ermordet wurden.“
Hier ruhen
208 Menschen aus Polen und der Sowjetunion,
die als Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen ins Deutsche Reich verschleppt wurden.
Sie wurden zwischen dem 20. und 23. März 1945 kurz vor Kriegsende von SS- und Wehrmachtsangehörigen
in Warstein, Eversberg und Suttrop ermordet.
Die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten werden sich in den folgenden Geschichtsstunden näher mit Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein beschäftigen. Wie wichtig dies ist, hatte ihnen auch Dr. Marcus Weidner mit auf den Weg gegeben: Geschichte wiederhole sich nicht, aber bestimmte menschliche Verhaltensmuster, Rassismus, Flucht begegneten uns immer wieder.
Die Auseinandersetzung mit den Morden im Arnsberger Wald und dem Umgang der deutschen Gesellschaft mit den Opfern hat bei den jungen Erwachsenen definitiv dazu beigetragen, Geschichtsbewusstsein zu entwickeln.
Mehr Informationen zum Massaker im Arnsberger Wald: