Die Zahl der Zeitzeuginnen und -zeugen, die von ihren persönlichen Erlebnissen während des Holocausts berichten können, sinkt von Jahr zu Jahr. Eine Gruppe von 32 Schülerinnen und Schülern aus den Jahrgängen 9, 10 und Q2 der Hannah-Arendt-Gesamtschule hatte am Holocaust-Gedenktag das große Glück, die 90-jährige Holocaustüberlebende Halina Birenbaum zu treffen.
Die Begegnung fand an einem außergewöhnlichen Ort statt: Halina Birenbaum erzählte von ihrem Leiden und Überleben unter dem Naziterror vor mehr als 500 Zuhörerinnen und Zuhörern im VIP-Bereich des Signal Iduna Parks. Borussia Dortmund engagiert sich in der Fanarbeit intensiv gegen Rassismus und Antisemitismus und organisiert zum Beispiel regelmäßig Fahrten nach Auschwitz für junge BVB-Fans.
Halina Birenbaum war auf Einladung ihrer Freundin Christel Schrieverhoff nach Dortmund gekommen und hat dafür sogar die große Gedenkveranstaltung in Auschwitz abgesagt. Vor fünf Jahren hatte sie selber dort noch eine Rede im Namen der Überlebenden des Holocausts gehalten.
Gebannt lauschen die Schülerinnen und Schüler der kleinen Frau, die stehend, mit schneller Stimme und lebhafter Gestik, zu ihnen spricht. Als Halina Birenbaum so alt wie sie war, hatte sie bereits fast alles verloren: Bis auf einen ihrer Brüder überlebte keiner ihrer Angehörigen die deutschen Todeslager. „Es ist wunderschön hier zu sein“, sagt sie mit einem Lächeln, „75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Es ist ein Wunder, dass ich heute hier stehe mit euch.“
Frau Birenbaum kam 1929 in Warschau zur Welt, doch ihre Kindheit wurde ihr von den Deutschen geraubt: „Mir wurde verboten, ein Kind zu sein. Ich lebte mein ganzes Leben mit diesem Schatten der Kindheit“, beschreibt sie diese Zeit. Als sie mit zehn Jahren gerade die zweite Schulklasse beendet hatte, musste ihre Familie ins Ghetto ziehen. Sie berichtet, unter welch unmenschlichen Bedingungen die Juden dort zusammengepfercht lebten und wie es ihrer Familie immer wieder gelang sich zu verstecken, um dem Abtransport in die Lager zu entkommen. Bis sie nach dem Aufstand im Ghetto entdeckt und in überfüllten Viehwaggons in das KZ Majdanek und dann weiter nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Frau Birenbaum enthüllt ihren rechten Unterarm, auf dem die Ziffern 48693 seit ihrer Ankunft im dortigen Frauenlager nicht verblasst sind.
Das Leben der Menschen in Auschwitz wird durch ihre Schilderungen in seiner ganzen Menschenverachtung wieder lebendig: Stundenlange Appelle in dünner Häftlingskleidung bei eisigen Temperaturen, Kampf um wässerige Suppe und verschimmeltes Brot, um das eigene Überleben zu sichern, regelmäßig wiederkehrende Selektionen, bei denen die schwächsten Häftlinge ins Gas geschickt wurden.
Nur wenige Tage vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee wurde Frau Birenbaum und viele ihrer Mithäftlinge noch von der SS auf Todesmärschen ins Reichsgebiet getrieben. Erst am 2. Mai 1945 wurde sie schließlich im Lager Neustadt-Glewe, einem Außenlager des KZ Ravensbrück, befreit.
Nach ihrer Rückkehr nach Warschau trifft sie dort zufällig auf der Straße ihren Bruder Marek wieder – ein kleines Wunder nach den Jahren in der Hölle. 1947 emigriert sie nach Israel: „Israel, das ist unser Platz“.
Als Frau Birenbaums Schilderungen enden, danken die ergriffenen Zuhörerinnen und Zuhörer ihr mit minutenlangem Applaus.
Layal aus der 9. Klasse zeigt sich betroffen und begeistert von Halina Birenbaum: „Ich finde es beeindruckend, dass sie nach allem, was sie durchmachen musste, so offen berichtet und dabei so freundlich und lebensfroh wirkt.“ Und die Schülerinnen und Schüler, die sich an der Hannah-Arendt-Gesamtschule für „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ engagieren, sind nach dem Bericht von Halina Birenbaum sicher: Ihr Engagement ist wichtig, damit der Holocaust nicht vergessen wird und Rassismus keine Chance mehr bekommt.